Twitter verändert uns – verändern wir Twitter

Die Micro-Blogging-Plattform Twitter ist problematisch wie eh und je. Da aber Mastodon Twitter nicht vollständig ersetzen kann – und auch nicht soll – brauchen wir ein besseres Twitter.

Saskia Esken ist Ende Dezember 2022 von Twitter zu Mastodon gezogen und hat ihren Account auf Twitter tatsächlich still gelegt, im Gegensatz zu vielen, die diesen Schritt zwar angekündigt haben, aber zumindest mit einem Fuß noch auf Twitter bleiben. Im Dezember haben sich viele Menschen mit einem Abschied auseinandergesetzt. Inzwischen hat das Thema wieder an Relevanz verloren, doch die dahinterstehende Frage nach einer Alternative ist durchaus noch präsent.

Schon bevor Elon Musk Twitter übernommen hat, gab es gute Gründe, Twitter zu verlassen oder auf die großen sozialen Netzwerke ganz zu verzichten. So ist die Abhängigkeit von einer dominierenden Infrastruktur generell ein großes Problem, das wir auch von Suchmaschinen bzw. der Macht Googles kennen. Auch die intransparenten Algorithmen, die dafür sorgen sollen, dass Menschen möglichst viel Zeit auf der Plattform verbringen, waren und sind ein Problem. Erst recht die Bildung sogenannter Filterblasen, die zur Polarisierung von Meinung betragen und einen gesellschaftlichen Diskurs behindern.

Alternative Mastodon?

Wie wäre es also schön, wenn man die (echte) Freiheit hätte, von einer Infrastruktur zu einer anderen frei zu wechseln. Wenn es möglich wäre, bei Unzufriedenheit mit einem sozialen Netzwerk einfach zum nächsten zu gehen, am besten mit ähnlicher Funktionalität. Denn ein Verzicht ist für die meisten Nutzer von Social Media auch keine Lösung: Soziale Netzwerke sind inzwischen wichtiges Informations- und Kommunikationsmittel, das politische Fragen in die Öffentlichkeit bringt, Politik aber auch mitgestaltet. Doch die Freiheit zum Wechsel gibt es nun mal nur bedingt. Vor allem, weil die Dominanz eines Dienstes dazu führt, dass er immer besser und attraktiver wird.

Nichtsdestotrotz hat sich Mastodon den Ruf erwerben können, eine Alternative zu Twitter darzustellen. Das liegt vor allem daran, dass – oberflächlich betrachtet – Mastodon ähnlich wie Twitter funktioniert und dass zudem die Sehnsucht nach einem „besseren“, politisch korrekten und selbstbestimmten Twitter groß ist. Die Social Media Plattform, die 2016 ins Leben gerufen wurde, ist dezentral aufgebaut, scheint aber mit diesem auf mehrere Instanzen aufgebauten System ein twitter-ähnliches Nutzererlebnis darstellen zu können. Alles gut, könnte man meinen. Ist Twitter jetzt irrelevant und kann weg?

Nicht ganz, denn es gibt ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die Plattform-Alternative sollte nicht nur ähnlich funktionieren, sondern auch ein ähnliches Erlebnis bieten. Nur dann wird sie dauerhaft genutzt werden und eine relevante Rolle spielen. Bei aller Fokussierung auf technische Fragen ist es wichtig, die Nutzung aus einer soziologischen Perspektive zu betrachten. Was suchen die Menschen auf Twitter? Was macht die Plattform mit ihnen? Warum ist Twitter so erfolgreich geworden, warum ist Twitter trotz Bildung von Filterblasen und Echokammern beliebt? Filterblasen sind im übrigen seltener als man dachte, es gibt einen regen Austausch über ideologische Grenzen hinweg. Allerdings führt dieser Austausch nicht zwingend dazu, dass eigene Gewissheiten hinterfragt werden, sondern stärkt vielmehr die Zugehörigkeitsgefühl zur eigenen Gruppe. Twitter fördert Abgrenzungsrituale und Polarisierung. Darin besteht aber auch ein gewisser Reiz.

Es muss Spaß machen

Denn genau dieses Zugehörigkeitsgefühl hält die Menschen bei Laune und auf der Plattform. Menschen suchen nicht nur die Bestätigung ihrer Meinung, sondern sie wollen – nicht zuletzt durch Abgrenzung – eine Identitätserfahrung machen. Daran ist zunächst nichts auszusetzen. Twitter aber steht unter dem Verdacht, dem zuzuarbeiten, indem auf mehreren Ebenen Teile des natürlichen Kommunikationsverhaltens bewusst verstärkt werden.

Auf Twitter kann ein Account durch emotionalisierende Tweets schnell Reichweite und damit eine gewisse Autorität erwerben. Dies kann enormen Reiz ausüben und dazu verführen, viel Zeit auf der Plattform zu verbringen. Wer sich dem Twitter-Stil anpasst, wird besonders erfolgreich. Es ist bekannt, dass Nutzer ihr Verhalten auf Twitter im Laufe der Zeit anpassen und ein twitter-typisches Verhalten an den Tag legen, was den Charakter der Plattform insgesamt verändert. Eine Untersuchung der Autoren William Brady und Molly Crockett von 2021 hat gezeigt, dass Nutzer, die in einem Tweet Empörung äußern und dafür retweetet werden bzw. Likes erhalten, künftig eher emotionalisierende Tweets veröffentlichen, also einen sozialen Lernprozess durchmachen. Darüber hinaus wird immer wieder die Vermutung geäußert, dass polarisierende Tweets, die viel Emotionen und damit Interaktionen auslösen, mehr Sichtbarkeit erfahren als sachliche. Falls dem so ist – und vieles spricht dafür – erzeugt Twitter damit zusätzlich ein hohes Erregungslevel, das Aggression und Stress bewirkt, andererseits aber auch genau die Spannung erzeugt, die den Nutzer auf der Plattform hält.

Verstärkt wird die Emotionalisierung und damit verbundene Polarisierung und Lagerbildung, weil man – anders als im „real life“ – nicht gezwungen ist, mit Menschen anderer Ansichten im Alltag zurecht zu kommen. Lagerbildung ist immer auch identitätsstiftend. So kritisch die Folgen gesellschaftlich sein können, so ist es doch oft genau diese daraus resultierende Spannung, die Menschen auf der Plattform hält.

Meinungsinstanzen

Dass auf Twitter Meinungsblasen entstehen, wäre im übrigen kaum der Rede wert, bliebe dieses Problem auf Twitter beschränkt. Aber das ist leider nicht der Fall. Twitter hat sich als Ort entwickelt, an dem Meinung nicht nur ausgetauscht wird, sondern auch entsteht. Auf Twitter befinden sich Intellektuelle, Wissenschaftler, Journalisten, Netzpolitiker, Politiker. Laut einer ARD/ZDF Online-Studie nutzten 10 % der Deutschen im Jahr 2020 Twitter mindestens selten, 5 % mindestens einmal pro Woche und 2 % täglich. Das ist nicht viel, dennoch beeinflussen Twitter-Trends und Shitstorms politische Entscheidungen. Genau deshalb spiegelt Gesellschaft auch zunehmend das Kommunikationsverhalten, das auf Plattformen wie Twitter kultiviert wird.

Auf den dezentralen Plattformen kann sich eine oben beschriebene emotionsgesteuerte Dynamik nicht so schnell entwickeln. Bislang geht es – zumindest auf den Instanzen, auf denen die Twitter-Flüchtigen gelandet sind, – weitaus sachlicher zu.

Auf Mastodon entsteht keine von Algorithmen befeuerte Gruppenbildung. Allerdings resultiert hieraus nicht, dass durch die dezentrale Funktionsweise überhaupt keine Meinungspolarisierung entstehen kann. Zum einen können Personen, die sich nicht an die Hausregeln halten, vom entsprechenden Administrator der Instanz ausgeschlossen werden. Anders als bei Twitter, wo der Digital Service Act Einspruchsmöglichkeiten und Nutzerrechte vorsieht, ist es nicht möglich, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Die Hürde zum Ausschluss kann je nach Instanz gering sein und zu einer hohen Meinungskongruenz innerhalb der Instanz führen. Zum anderen findet zwar wohl jeder Nutzer am Ende des Tages „seine“ Instanz, aber da Betreiber der einzelnen Instanzen entscheiden können, mit welchen Instanzen sie interagieren und welche sie links liegen lassen wollen, kann ein Nutzer womöglich auf einer Instanz landen, die am Diskurs kaum teilnimmt. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass es beliebte Instanzen gibt, die eine gewisse Diskursmacht erhalten. Sobald eine Plattform eine gewisse Größe und Relevanz besitzt, wird Meinungsvielfalt also schwierig.

Was folgt daraus?

Es ist leider nicht so einfach, Twitter durch Mastodon zu ersetzen. Und Mastodon ist kein Heilsbringer. Ohnehin ist es nicht zielführend, die beiden Plattformen in Konkurrenz zu betrachten, da es sich um unterschiedliche Kommunikationssysteme handelt, die man durchaus auch parallel nutzen kann. Letztlich aber führt uns der Wunsch nach Alternativen zu der Frage: welchen Anforderungen soll eine Social Media Plattform genügen? Und zwar nicht nur auf der technischen, sondern vor allem auch auf der sozialen und gesellschaftlichen Ebene. Und welchen Einfluss sollen Staat und Gesellschaft darauf haben? Vor allem aber: Wie können die negativen Effekte Twitters auf den gesellschaftlichen Diskurs abgemildert werden?

Erreicht werden kann eine verbesserte Diskussionskultur unter anderem, indem Twitter jene Funktionen hinterfragt, die eine starke Polarisierung noch zusätzlich begünstigen. Dazu gehört die Blockierfunktion. Es mag absurd klingen, aber eine Maßnahme für verbesserte Kommunikation könnte sein, die Blockierfunktion für offizielle und reichweitenstarke Accounts einzuschränken, mit der nicht nur vorschnell und zum Teil konzertiert unliebsame Stimmen ausgeblendet werden, sondern auch verhindert wird, dass Argumente ein „verfeindetes Lager“ erreichen. Das Blocken, das oft auch von Mitgliedern der eigenen Bubble gefordert wird („Blockempfehlung!“) – erhöht den Radikalisierungsdruck.

Oft wird auch kritisiert, dass reichweitenstarken Accounts erlaubt wird, eine – polarisierende – Meinung darzustellen, ohne dann aber die Antwortfunktion zuzulassen. Auch Politiker agieren teilweise auf Twitter so. Dies bedeutet, dass einer Machtstellung Raum gegeben wird, die ohne Widerrede bleibt und entsprechend emotionalisiert. Die Blockade von unliebsamen Kommentaren („Drukos“) hat hier also eine andere Funktion als bei kleinen Accounts, wo die Einschränkung der Antwort einen gewissen Schutz darstellt, sich die Diskussion nicht von den „Großen“ kapern zu lassen. Anders gesagt: je größer der Account ist, desto stärker sollte er auch in der Verantwortung stehen, zu einer demokratischen Diskussionskultur beizutragen. Diese Einflussnahme auf den Diskurs sollte in Form transparanter Algorithmen erfolgen.

Diese Vorschläge können beliebig erweitert werden. Entscheidend ist, dass es ein Bewusstsein dafür gibt, wie soziale Netzwerke den Diskurs und damit die Gesellschaft beeinflussen. Dass Menschen die Medienkompetenz erwerben, sich auch mal im Fediverse – hierbei insbesondere Mastodon – auszuprobieren, wo ein sachlicher Austausch oft viel besser funktioniert. Und dass insbesondere Twitter – politisch – in die Verantwortung genommen wird, mit technischen Mitteln die Polarisierung einzudämmen.

About the author

Seit 2013 arbeite ich für den SUMA-EV im Bereich Social-Media, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Vor meiner Tätigkeit beim SUMA-EV habe ich kreatives Schreiben für Kinder unterrichtet und als Autorin gearbeitet.
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