SuMa-eV Newsletter 1-10

Den einen oder anderen Newsletter werden wir auch hier im Blog veröffentlichen; mit dem ersten des Jahres 2010 mache ich den Anfang. Den Newsletter abonnieren kann man unter http://suma-ev.de/newsletterabo.html

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitglieder und Freunde des SuMa-eV,

zum Beginn eines neuen Jahres hat es sich bewährt, über den Tellerrand der Tagespolitik hinaus nach vorn und hinten und um sich herum zu schauen. Dazu muss weder Wildbad Kreuth noch das Dreikönigstreffen Vorbild sein, aber die Absicht ist dort sicherlich ähnlich. Die Blickrichtung unseres „Vereins für freien Wissenszugang“ sollte umfassen, was mit der Wissens- und Informationsgesellschaft zu tun hat. Wie also hat sich diese Gesellschaft entwickelt, wohin tendiert sie?

Die IT-Gesellschaft 2009

Über die Entwicklung im vergangenen Jahr gibt eine eindrucksvolle Statistik der Firma Comscore [1], ausgewertet von FAZ.NET [2]. Der FAZ-Artikel ist überschrieben: „Internet-Weltrangliste: Google baut seinen Vorsprung aus“ – die Webseiten von Google sind die weltweit am häufigsten angeklickten, gefolgt von Microsoft, Yahoo, Facebook und Wikimedia. So weit, so nicht gut, aber so ist es. Aber auch das ist nur erst die halbe Wahrheit der Katastrophe, denn es ist in Wirklichkeit noch viel schlimmer: unter den TOP25 Webseiten des Internet gibt es KEINE EINZIGE europäische!

Wo ist Europa?

Was mögen die Ursachen für das Versagen Europas in der IT-Gesellschaft sein? Die EU und die deutschen Förderinstitutionen pumpen jährlich horrende Summen an Geld in die Entwicklung der IT, die europäische Kommission als Manager hat ca. 50.000 Mitarbeiter – wieso trägt das
alles nur zur Produktion von meist sinnlosen „Forschungs-“ und Förder- Berichten und -Papieren bei, trägt aber bei denen, für die es gemacht werden soll, bei den Nutzern, keine Früchte?

Bei den Summen, die hier verbrannt werden, kann es am Geld nicht liegen. Also kann es doch nur am System selbst liegen: der Bürokratie ohne Ende, der Lethargie und der Unfähigkeit des Apparates und der Apparatschiks und seiner inneren Widersprüche. Zu letzterem ein
Beispiel.

Schizophrenie

Sowohl die Förderanträge für Forschungsförderung in Deutschland durch das BMBF, als auch die EU-Förderung, und sogar der neue, in Deutschland gesetzlich verordnete Datenkrake ELENA verlangen vom Nutzer zwingend die Bearbeitung des Formularkriegs auf einem vorgeschriebenen
Betriebssystem. Gleichzeitig verhängt die EU Strafmaßnahmen von erheblichen Ausmaßen gegen genau dieses Betriebssystem-Monopol und dessen Mißbrauch, dessen alleinige Nutzung sie andererseits erzwingt. Wie schizophren muss man sein, um solches unter einem Dach tun zu
können?

Zum Bürokratismus erspare ich mir Beispiele. Jeder, der je mit der Förderkratie zu tun hatte, weiß was gemeint ist. Von Herrn Stoiber aus Bayern, der die EU-Bürokratie entrümpeln sollte, hat man in der Sache nie wieder etwas gehört – vermutlich ist das Projekt in Tonnen von Aktenstaub erstickt.

Was ist zu tun?

Was schließen wir aus alldem? Deutschland und Europa: unfähig für das IT-Zeitalter? Generell ist es derzeit in der Tat so. Darum aber ist es erstens umso wichtiger, die Nischen zu erhalten, in denen es anders ist. Und da sich zweitens gezeigt hat, dass Systeme wie das Internet die immanente Eigenschaft haben, zu Monopolstrukturen zu verselbstständigen, müssen wir und die Politik lernen, wie diese Strukturen zu lenken und auch zu regulieren sind. Letzteres hat derzeit in Deutschland aufgrund der schwarz-gelben neoliberalen Großwetterlage wahrscheinlich wenig Chancen. Daher sind wir gefordert, hierfür auch die europäische Ebene zu suchen und arbeiten in diesem Bereich mit der „Initiative for a Competitive Online Marketplace (ICOMP)“[3] zusammen.

Eine gewisse Ausnahme der europäischen Nietensammlung in der IT ist Frankreich. Dort existiert mit Exalead [4] die einzige Suchtechnologie in Europa, die zu den US-Marktführern konkurrenzfähig ist. Und bei den Überlegungen zu notwendigen regulatorischen Eingriffen zeigt sich Frankreich mit der Diskussion der sogenannten „Google-Steuer“ [5] ebenfalls einfallsreich. Wie praktikabel oder auch nicht so eine Steuer sein mag – das wichtigste in der gegenwärtigen Situation, in der die IT die Gesellschaft verändert wie nie zuvor, ist es, neue Wege zu suchen. Dazu müssen auch Experimente gewagt werden.

Neues aus Deutschland?

Eine eher überraschende Äußerung zum Monopolproblem gibt es seit kurzem aus dem deutschen Justizministerium: Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, reputiert unbequeme Standpunkte des Bürgerrechts konsequent durchzuhalten, nimmt im SPIEGEL-Interview [6] kritisch Stellung zur Google-Dominanz, möglichem Datenmissbrauch und Privacy-Verletzungen von verschiedensten Seiten, inklusive ELENA. Es bleibt abzuwarten, ob sie in ihrer Partei, die ansonsten mit Steuer(ver)senkungen gut beschäftigt ist, genug Rückhalt findet, um hier tatsächlich etwas zu bewirken.

Eines hat sie jetzt allerdings bereits bewirkt, und das ist nicht minder interessant: Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat sich den Zorn aller „Google-Gläubigen“ zugezogen und eine heftige Diskussion angestoßen. Schaut man bei dem zur Meldung im Heise-Newsticker [7] gehördenden Forum [8] auf das Echo der „Netzgemeinde“, so sieht man eine gewaltige Resonanz und kontroverseste Meinungen. Genau diese Diskussionen sind aber notwendig. Während in früheren Jahren die „Google-Gläubigen“ solche Foren noch eindeutig dominierten, und alles „niederschrien“, was Zweifel äußerte, wird das Bild differenzierter. Es überwiegen zwar immer noch die „G-Gläubigen“, aber die Zahl derjenigen, die Alternativen suchen, ist größer geworden – was Anlaß zu ersten Keimen der Hoffnung eines Umdenkens von unten geben könnte.

Neue Wege

Zum Schluss noch: DER Aufsteiger des Jahres 2009 in der IT ist Twitter [9] mit einer Steigerungsrate von mehr als 1000% (in Worten: eintausend Prozent). Sie finden mich dort unter http://twitter.com/wosabeu.

Fazit: auch wenn die Großwetterlage und deren weitere Aussichten, auch ohne Berücksichtigung der diesjährigen winterlichen Eskapaden des realen Lebens ;-), derzeit durchaus ungünstig sind: es ist eine Frage, „passend angezogen zu sein, um rauszugehen“ – auf gehts, um neue Wege
zu finden!

Quellen:

[1] http://comscore.com/
[2] http://faz-community.faz.net/blogs/netzkonom/archive/2010/01/04/weltmeister.aspx
[3] http://i-comp.org/
[4] http://exalead.com
[5] http://www.welt.de/wirtschaft/article5771622/Sarkozy-plaediert-fuer-eine-Google-Steuer.html
[6] DER SPIEGEL, Nr. 2/11.1.10, S. 32
[7] http://www.heise.de/newsticker/meldung/Leutheusser-Schnarrenberger-droht-Google 900142.html
[8] http://www.heise.de/newsticker/foren/S-Leutheusser-Schnarrenberger-droht-Google/forum-172253/list
[9] http://twitter.com

Wolfgang Sander-Beuermann

About the author

Dr.-Ing. Wolfgang Sander-Beuermann: MetaGer & SUMA-EV Founder
http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Sander-Beuermann

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