„Wir brauchen eine europäische Suchmaschine“ – Antwort an Frank Schirrmacher
Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, veröffentlichte in der Ausgabe vom 19.7.2011 einen Aufsatz mit der Überschrift
„Wir brauchen eine europäische Suchmaschine“.
Im Jahre des Herrn Anno 2004(!), am 4. November, hatte ich in einem Brief an Frank Schirrmacher ihm sinngemäß das Gleiche geschrieben. Hier ein paar Zitate aus meinem damaligen Brief:
- „Ich möchte Ihnen ein Thema antragen, das von ähnlicher Sprengkraft für die zukünftige Entwicklung in Deutschland ist wie die von Ihnen publizierten Probleme der Überalterung“ (das bezog sich auf Schirrmachers damals erschienenes Buch „Das Methusalem – Komplott“).
- „Der Kernbereich der Informationsgesellschaft wird heutzutage und zukünftig noch stärker durch die Suchmaschinen des Internet beherrscht. In diesem Kernbereich hat sich eine brisante Lage ergeben … „
- „Die kurz beschriebene Krise der deutschen Informationsgesellschaft wird dadurch zementiert, dass aktuelle Förderprogramme des Bundes, die es in diesem Bereich durchaus gibt, Technologieträume beschreiben, für die in Deutschland jedoch jegliche Grundlagen fehlen. … „
- „Vor diesem Hintergrund sehen wir in der angedeuteten Lage eine reale Bedrohung der Informationsgesellschaft in Deutschland. Wir würden es begrüssen, hierüber mit Ihnen in einen Diskurs einzutreten.“
Ähnliche Briefe hatte ich damals auch an andere Personen, Institutionen, Firmen, Ministerien und Staatssekretäre geschrieben, die ich für Multiplikatoren oder Entscheider hielt. Heute frage ich mich, wieso ich so naiv sein konnte, auch nur eine einzige brauchbare Antwort zu erwarten. Während aus dem Bereich der Ministerien und Behörden wenigstens eine höfliche Eingangbestätigung und ein paar freundliche nichtssagende Worte zurück kamen, kam von Ihnen und aus dem gesamten Bereich der Wirtschaft nicht einmal das.
Ihre jetzige Erkenntnis, Herr Schirrmacher, dass wir eine europäische Suchmaschinen brauchen, kommt nun leider sieben Jahre zu spät. Damals, 2004, wäre es noch möglich gewesen, mit relativ geringem Aufwand von „nur“ ein paar Hundert Millionen Euro, europäische Alternativen zu entwickeln – aber der Zug ist abgefahren. Michail Gorbatschows Zitat „wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ gilt auch hier in voller Schärfe. Deutschland und Frankreich haben dann, nicht ganz so verspätet wie Sie, tatsächlich ein paar Hundert Millionen Euro in Projekte wie Quaero und Nachfolger gesteckt, mit denen vielleicht auch irgendwo irgendwas ein bischen Nützliches entwickelt wurde – aber unter dem Aspekt, europäische Alternativen zu entwickeln, ist es sinnlos verbranntes Steuergeld.
Das zeigt auch, dass die üblichen Wege der Förderbürokratie – mit wohldefiniererten Projektzielen, Meilensteinen, Berichtswesen, aktenordnerweise produziertem Papier, für drei Jahre im Voraus festgeschriebenen Arbeitspakten und diesem ganzen Bürokraten-Unfug, der die Forschung und Entwicklung nur behindert – NICHT in der Lage sind, Europa nach vorn zu bringen.
Nichtsdestotrotz bin ich nach-wie-vor mit Ihnen, Herr Schirrmacher, der Meinung, dass wir europäische Alternativen brauchen, wenn wir uns nicht völlig zu den Bananenrepubliken der Informationsgesellschaft degradieren wollen. Haben wir aber überhaupt noch eine Chance? Der Großteil der Net-Community hat aufgegeben und wird hierauf vermutlich mit „no chance“ antworten. Meine Antwort: vielleicht gibt es noch eine Change. Sie kann aber nur aus Nischen heraus erwachsen: „Im optimalen Fall finden wir zu einer Vielfalt von digitalen Wissensanbietern; aus der jetzigen Monokultur wird eine blühende ‚Suchmaschinenlandschaft‘ der verschiedensten Fach- und Interessengebiete.“ Mehr dazu in meinem kürzlich vom Grimme-Institut veröffentlichten Aufsatz, aus dem auch das vorgenannte Zitat stammt: Suchmaschinen – Woher sie kommen – wohin sie gehen.
Lieber Herr Schirrmacher, ich wiederhole meinen Apell aus dem Jahre 2004: Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Ziel arbeiten! Lassen Sie uns gemeinsam weitere Verbündete dazu suchen, deren primäres Ziel nicht ihre persönliche Geldvermehrung durch Zusammenarbeit mit globalen Konzernen ist, sondern die für Deutschland und Europa einen gangbaren Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft finden wollen!
Wolfgang Sander-Beuermann