Googlen wir uns dumm und dämlich
Dieser Essay von Manuela Branz ist ein Auszug aus dem SUMA-EV Newsletter vom 22.5.2013; Sie können den SUMA-EV Newsletter unter der folgenden Adresse abonnieren: http://www.suma-ev.de/kontakt/suma-ev-newsletter-bestellen.html
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Die digitale Welt wird durch Google radikal verändert. Aber diese
Veränderung entwickelt sich schleichend. Die Geschichte der Medien zeigt,
dass jede Veränderung der medialen Welt gesellschaftlich begleitet worden ist, zwischen den Polen von Kulturpessimismus und Euphorie stattfindet, zwischen Verteufelung und kritikloser Hoffnung auf Erlösung durch das Medium (Kino, Fernsehen). Die Entwicklung der Suchmaschinen von einer reinen Suchhilfe hin zu einer Art Marketingmaschine ist ebenfalls gesellschaftlich relevant, passiert aber schleichend, sukzessive. Eine kritische Haltung in der Gesellschaft hat sich deshalb bislang kaum manifestiert, allenfalls am Rande, wo sie kaum wahrgenommen wird. Weil die Entwicklung nicht kritisch begleitet wird, wird es immer schwieriger, die Macht Googles einzuschränken. Denn Google ist für viele aus dem Leben nicht mehr wegzudenken.
Der Mensch will betüdelt werden
Woher kommt der Erfolg von Google? Wir leben in einer Zeit, die viele
Möglichkeiten offen hält. Das Internet hat unser Leben enorm bereichert,
Informationen sind leichter zugänglich denn je. Für jeden Musikgeschmack
gibt es Plattformen, jede Nische wird besetzt. Für die Masse der Menschen
ist diese Vielfalt aber nicht erstrebenswert. Angesichts der Vielzahl von
Möglichkeiten entsteht bei vielen Menschen schnell das Gefühl der
Überforderung. Diesen Wunsch nach Einfachheit bedient Google, geht darüber aber noch hinaus. Google bewegt sich auf seine Nutzer bereitwillig zu, füttert sie mit Angeboten, Vorschlägen und perfekt passenden
Suchergebnissen. Damit wird der Eindruck vermittelt, Google kenne seine
Nutzer, stehe auf ihrer Seite, trete mit ihnen in eine Art von Beziehung.
Je individueller Google auf seinen Nutzer eingeht, je besser die Werbung auf die aktuelle (Such-)situation zugeschnitten ist, je weiter Google also
letztlich in die Privatsphäre seines Nutzers eindringt, desto mehr fühlt
dieser sich in seiner Individualität gesehen und anerkannt. Aber mit
Individualität hat Google natürlich nichts im Sinne. Denn der freundliche
Bruder Google nimmt den Menschen mitnichten als individuellen Menschen wahr, sondern spiegelt ihn als Stereotypen. Wahrgenommen wird der Bereich des Menschen, der markt-, massen-, medienkompatibel ist. Und wie lange dauert es wohl, bis auch der Nutzer selbst sich zunehmend mit dieser Brille sieht?
Der Mensch sucht
Wir suchen laufend irgend etwas. Man könnte auch sagen: Ich suche, also bin ich. Man verrät mit seiner Suche viel über sich selbst, über seine
Vorlieben, Sehnsüchte, Wünsche. Mit der Suche zeigt man Flagge, nicht nur
im virtuellen Raum, sondern auch im realen Leben. Aber man offenbart nicht nur, wer man ist, sondern man verändert sich auch durch die Suche
sukzessive, und zwar abhängig vom Suchergebnis. Jede Information setzt
einen kleinen Stein in unser Persönlichkeitsgebäude. Es liegt in der Natur
der Suchaktion, dass man bei der Suche immer auch auf Informationen stößt, die man gar nicht gesucht hat, man liest diese Informationen praktisch am Wegrand auf, rechts und links vom eigentlichen Suchweg. Aber auch diese zufällige Information wird in unser Gebäude gesetzt, wo sie manchmal einiges durcheinander bringt, im günstigen Falle sogar Gewissheiten in Frage stellt.
Durch die Ungenauigkeit in der Informationsbeschaffung kann sich also unser Horizont erweitern. Das ist bei der Alltagssuche der Fall, wenn man im Bücherschrank ein bestimmtes Buch sucht, dabei über ein anderes Buch
stolpert, das man ganz vergessen hatte. Erst recht bei der Musik, wenn man
im Auto einen bestimmten Sender im Radio sucht, bei der Suche aber zufällig auf ein unbekanntes Lied stößt, das einem gefällt. Vielleicht merkt man sich den Interpreten und erschließt sich ein neues musikalisches Feld. Aber auch bei der wissenschaftlichen Suche gilt dieses Prinzip: Man kann bei einer Suche praktisch am Wegrand Dinge entdecken, die einen fesseln und begeistern, Dinge, die man ohne die vergeblichen Suche nach einer anderen Sache nie entdeckt hätte. Dieser „Suchausschuss“ mag trivial erscheinen, aber er ist wichtig, denn er erweitert unseren Horizont. Aber dieser „Suchausschuss“ entfällt durch Google immer mehr. Durch die
individualisierte Suche wird man immer besser bedient, aber auch immer
weniger mit Unvorhersehbarem und Unbekanntem konfrontiert. Man bleibt in seiner Welt. Die immer kleiner wird.
Verkleinerung der Welt
Ein weiteres Phänomen verstärkt diesen Prozess der Verkleinerung der Welt. Das Marktgeschehen unterliegt einem Mechanismus der Erfolgskonzentration, trivial umschrieben mit der Floskel, dass sich der Mensch am Erfolgreichen orientiert. Erfolg macht erfolgreich. Der Mensch mag sich selbst als „offene Person“ betrachten, die sich vielleicht sogar gerne „neu erfindet“, immerzu das Neuste und Beste will, in seiner Produktwahl bevorzugt der Mensch in der Regel das Bekannte, beziehungsweise Variationen des Bekannten, und bevorzugt aus der Bandbreite des Bekannten immerzu das Erfolgreiche, das
Massenprodukt mit der magisch aufgeladenen Aura. Dieses Prinzip wird
marketingstrategisch aufgegriffen, sei es nun im Internet oder aber im
Buchladen um die Ecke. Zum Beispiel liegen in einer Buchhandlung die
erfolgreichen Neuerscheinungen auf dem Tisch direkt am Eingang, weil man die Kunden locken möchte, wodurch sich ihr Bekanntheitsgrad noch weiter erhöht. Auch Bücher, die ihnen ähnlich sind, landen in den „vorderen Reihen“. Wenn ein Produkt „geht“, setzt man auf das immerfort gleiche Pferd, bis die Sache ausgereizt ist; ein Marktprinzip, an dem ein Marktneuling unter Umständen verzweifelt. Aber immerhin gibt es in der Buchhandlung auch die „hinteren Reihen“, Nischen, die man zufällig oder auch gezielt entdecken kann. Am Beispiel Buchhandlung wird deutlich: man muss nur ein paar Meter weiter gehen, dort kann man schlendern, suchen, flanieren, und immer noch viel Unbekanntes entdecken. Auch bei Google gibt es diese „hinteren Reihen“, aber ihre Bedeutung ist marginal. Und die Situation spitzt sich zu: je weiter Google in die Lage versetzt wird, Daten zu nutzen und Suchergebnisse im Sinne des Marktes zu optimieren, desto unwichtiger werden diese hinteren Reihen, die zwar vielleicht für die große „Masse“ der Menschen ohnehin keine Rolle spielen, aber für das Wissensprofil der Gesellschaft enorm wichtig sind. Die Intelligenz einer Gesellschaft steht und fällt mit ihrer Informations- und Ideenvielfalt.
Dabei war gerade das Internet eine große Chance, einen Raum zu öffnen, in dem unendliche Vielfalt stattfinden kann. Die Aufbruchstimmung und Euphorie in den früher 90er Jahren entzündete sich nicht zuletzt an der historischen Möglichkeit, Nischen bereit zu stellen, die für jeden Menschen ohne Hindernis erreichbar sind, und damit auch die Macht des Marktes unterlaufen. Es schien einfach, Wissen zu demokratisieren, den Horizont zu erweitern. Doch mit der fortschreitenden „Googleisierung“ des Internets (und der Gesellschaft) ist es für alles, was abseits des Mainstreams liegt, noch schwerer geworden, in Erscheinung zu treten. Subkulturelle Nischen werden zunehmend bedeutungslos und geraten schließlich in Vergessenheit. Aber auch auf den Mainstream wirkt sich dieser Prozess am Ende negativ aus, schließlich bedient sich der Mainstream eifrig an der Subkultur, holt sich dort „das Neue“, generiert dort die Sensation, die der Markt braucht, um seinen Motor am Laufen zu halten.
Freiheit gibt es nicht umsonst
Der gesellschaftliche Einfluss Googles ist immens und sollte uns Grund genug sein, die Entwicklung wachsam zu begleiten. Insofern erstaunt die relative Gelassenheit, mit der auf Neuerungen wie beispielsweise die Google-Brille reagiert wird. Im Grunde seines Herzens glaubt der Mensch wohl einfach nicht daran, dass ihn eine Maschine beeinflussen könnte. Wir Menschen sitzen der Illusion auf, unsere Individualität stehe für immer fest, sei unverrückbar, wäre eine feste Größe. Wir glauben wider besseren Wissens, dass wir stets frei entscheiden, welche Musik wir hören und welches Buch wir lesen. Im Grunde wissen wir es aber besser. Der Hybrid von Mensch und Maschine findet als Gruselvision im Genres des Science Fiction Beachtung, genau wie die Manipulation des Menschen durch Maschinen. Im fiktiven Bereich äußert sich also das Unbehagen, mit dem wir reale Entwicklungen betrachten, durchaus. So spektakulär wie im Film „Matrix“ von 1999, wo das Bewusstsein der Menschen von Menschmaschinen versklavt wurde, schaut Google natürlich nicht ins Hirn seiner Nutzer. Trotzdem wird mit der Möglichkeit, mit Nutzerdaten Suchergebnisse zu optimieren, eine gewisse Grundlage der Manipulationsfähigkeit geschaffen, die uns hellhörig werden lassen sollte.
Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass auch um die Freiheit gekämpft werden muss.